Händchen
Eine Schule in Niedersachsen. Zwei Schülerinnen um die 16 kommen mir entgegen. Eine oft beobachtete Konstellation: Die erste ,Typ H&M Schaufensterpuppe, findet sich zusammen mit einer etwas untersetzt-Hemdsärmeligen um neben ihr noch mehr zu strahlen, während die zweite vom Glanz der ersten etwas abbekommt. Vermutlich immer ein fragiles von stillen Vorwürfen begleitetes Konstrukt.
Die zweite (vorwurfsvoll, betont beiläufig): „Was ist eigentlich jetzt mit Mario und dir? Ich hab genau gesehen, wie ihr Händchen gehalten habt.“
Die erste (ertappt, defensiv): „Ja… Was? Hand!“
Aus dem Händchen wird die Hand. Hand gehalten. Nicht Händchen. Ein entscheidender Unterschied. Das regt meine Neugier. Wie kann aus dem Händchen eine Hand werden? Typische Situation von Hand halten: In Kreisen bei kirchlichen Veranstaltungen oder in der KiTa, Turnen, Armdrücken. Typische Situationen für Händchen halten: Ein klassisches Symbol Verliebter.
Was war es nun? Die Suggestion der Frage ging klar in Richtung Verliebtheit, doch die Gefragte nimmt der Situation jeglichen Eros und macht aus dem Händchen die sachliche Hand. Da muss man erstmal drauf kommen. Ein erotisch aufgeladener Begriff, wird auf seinen sachlichen Ursprung reduziert. Geht das auch woanders? „Ich hab genau gesehen, wie ihr rumgefummelt hab“ „Ja… was? Leibesvisitation!“ oder „Ich hab genau gesehen, wie ihr euch ständig angeschmachtet habt.“ „Ja… Was? Sehtest!“
Was würde Mario dazu sagen? War es die unverfänglich nüchterne Hand oder ein knisternd aufgeladenes Händchen?
Leider werde ich es nie erfahren.